Rede beim Kundgebung vom „Bündnis gegen Preiserhöhungen“ in Tübingen am 15. Oktober 2022


Kurze Bemerkung im voraus: Unter Wohnungslosigkeit wird eine Zustand von erwachsenen Menschen ohne mietvertraglich gesicherten Wohnraum verstanden. Obdachlosigkeit ist eine Teilmenge davon und bezeichnet das Leben auf der Straße.

Eine Rede der „Wohnungslosen-Unterstützung Tübingen“, kurz WUT, muss natürlich auch eine WUT-Rede sein. Und wir sind auch wütend.
* Wütend, weil wohnungslose Menschen weiter wohnungslos sind, obwohl Wohnungen leer stehen.
* Wütend, weil wohnungslose Menschen oft nicht oder nur ungenügend mitgedacht werden, zum Beispiel wenn es um extreme Hitze oder Kälte geht.
* Wütend speziell in Tübingen, weil das Haus in der Gartenstraße 7 geräumt wurde und dadurch bereits wohnungslose Menschen in die Straßen-Obdachlosigkeit geworfen wurden.
* Wütend speziell in Tübingen, weil hier im Gegensatz zu anderen Kommunen während der Hoch-Zeit der Corona-Pandemie nicht die Hotels für Wohnungslose geöffnet wurden.
* Wütend speziell in Tübingen, weil hier die Wohnprojekte sich in einem offenen Brief besorgt darüber äußerten dass bei ihnen vermehrt obdachlose Menschen notübernachten und nichts deswegen geschehen ist.

Jetzt stehen wir vor der Gefahr einer massenhaften Verarmung und dem Abrutschen vieler in die Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit.
Nun ist es wichtig auf zwei Ebenen aktiv zu werden.
1. Prävention
Am wichtigsten ist die Prävention. Niemand darf wegen Geldmangel seine Wohnung verlieren.
2. Direkthilfe und „Housing First“
Menschen die bereits wohnungslos sind, müssen von der Straße geholt werden. Hier sehen wir das „Housing First“ als das beste Mittel an.
Gleichzeitig muss wohnungslosen Menschen in ihrem Alltag beim Überleben geholfen werden.
Denn die steigenden Preise wirken sich auf sie aus. Es gibt weniger Pfandflaschen und Bettelgeld. Die Ressourcen werden knapper. Bereits jetzt klagen zum Beispiel die Tafeln in Deutschland über weniger Spenden bei gesteigerten Bedarf.

Die Furcht vor dem Ausgeliefertsein gegenüber der Kälte, die jetzt Teile der Bevölkerung erfasst hat, ist eine Furcht die zum ständigen Leben von Obdachlosen dazu gehört. Im Sommer kommen Probleme mit der Hitze hinzu. Auch Regen wird schnell problematisch, weil man seine Kleidung oder seinen Schlafsack nicht einfach trocknen kann.

Wir wissen das die Notübernachtungs-Plätze in Tübingen von vielen nicht angenommen werden. Dafür gibt es Gründe. Der wichtigste es die fehlende Sicherheit und Privatsphäre. keine wirklich sicheren. Mehrbetten-Zimmer und fehlende Abschlussmöglichkeiten führen zu einem Ausgeliefert-Sein gegenüber Gewalt, Ruhestörung oder Diebstählen durch andere Bewohner*innen. Diese Gefahr ist durch die Struktur der Notübernachtungen und die Probleme der Bewohner*innen latent immer vorhanden. Negative Erfahrungen führen dazu dass viele Wohnungslose die Unterkünfte meiden.
Die Einstellung das Mehrbett-Zimmer noch immer besser seien als zu erfrieren ignoriert gemachte Erfahrungen und kommt von Menschen, die ein eigenes Bett haben.
Um es noch einmal deutlich zu sagen: Die bestehenden Angebote und Einrichtungen in Tübingen reichen nicht aus!
Deswegen muss sich hier dringend etwas ändern.
Dazu finden wir eine aufsuchende Hilfe extrem wichtig. Nur Anlaufstellen anzubieten, ignoriert die besonders schwierige Situation mancher Wohnungsloser, die aus Scham, wegen psychischen Schwierigkeiten, auf Grund von Hausverboten oder aus mangelnder Information nicht zu diesen Anlaufenstellen kommen werden.
Auch in Tübingen gibt es Obdachlose, die aus den genannten Gründen die Anlaufstellen nicht aufsuchen.
Gerade bei besonders starker Hitze oder Kälte braucht es deswegen Sozialarbeiter*innen, die wohnungslose Menschen aufsuchen und unterstützen, sowie eine Vertrauensbasis zu ihren Klient*innen aufbauen.

Doch auch die normale Bevölkerung kann ihr Verhalten reflektieren. Wohnungslose Menschen leiden nicht nur unter physischer Kälte, sondern auch unter sozialer Kälte.
Helfen wir Hilfsbedürftigen Menschen weiter? Spenden wir Geld? Fragen wir nach ihren Bedürfnissen? Setzen wir uns für sie ein?
Oder machen wir aus dem Problem der Wohnungslosigkeit ein Wohnungslosen-Problem?